Sonntag, 15. September 2013

Ein Morgen im Park, morgen in der Stadt - Ein Projekt für X-Interventionen in Bochum

Das Projekt

Die Projektpräsentation erstreckt sich insgesamt über einen Zeitraum von 2 Wochen.
  1. Über einen festgelegten Zeitraum von 3 Stunden (z.B. von 06:00 bis 09:00 Uhr) während des Sonnenaufgangs, sollen Geräusche in einem Park (Stadtpark Bochum) aufgenommen werden. Es wird nur an einem Ort aufgenommen, also kein Herumlaufen während der Aufnahme, um nach den „besten“ Tönen zu suchen.
  2. Am zweiten Tag wird die Aufnahme des Vortags an dem Ort im Park, an dem sie aufgenommen wurde, zu genau dem Zeitraum, in dem sie aufgenommen wurde, abgespielt (Intervention von Innen).
     
  3. Die Audioquelle (mindestens 2 Lautsprecher) von denen abgespielt wird, dürfen im Park selbst visuell nicht sichtbar sein. So können die Lautsprecher zum Beispiel in Vogelhäuschen versteckt werden. Die auditive Intervention soll nicht visuell, sondern nur auditiv sichtbar werden. 
     
  4. Während die Aufnahmen des Vortags abgespielt werden, wird der Ort, der beschallt wird mitsamt den Geräuschen, die er zusätzlich produziert, wieder aufgenommen. 
     
  5. Am dritten Tag wird die Tonspur des ersten und zweiten Tages übereinandergelegt und abgespielt, während wieder aufgenommen wird, sodass am Ende der Woche 6 Tonspuren übereinanderliegen. 
     
  6. Nachdem die erste Woche vorbei ist, werden die Aufnahmen, die bis dahin gemacht wurden (7 Tonspuren), noch einmal auf die gleiche Art und Weise abgespielt. Es wird nicht aufgenommen, sondern nur abgespielt. Diesmal allerdings nicht mehr im Park, sondern in einem urbanen Umfeld, zum Beispiel an einer befahrenen Straße, einer Verkehrskreuzung oder auf einem Platz (Intervention von Außen). 
     
  7. Nach jedem Tag in der Stadt, wird chronologisch eine der 7 Audiospuren entfernt, sodass am letzten Tag der Woche nur noch eine Audiospur, nämlich die Aufnahme des allerersten Tages im Park zu hören sein wird. 

    Hintergrund

    Selbst wenn wir es bewerkstelligen könnten, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, um alles in ihr mit der gleichen Aufmerksamkeit wahrzunehmen, so würde uns eine andere Welt immer noch im Verborgenen liegen - die unsichtbare Welt der Klänge und Geräusche, die von den Räumen, die wir durchschreiten, an unsere Ohrmuscheln herangetragen werden, auf unser Innenohr treffen und schließlich einen Hörnerv produzieren, den unser Gehirn in eine Information übersetzt. So konstituieren Klänge und Geräusche Räume, Situationen, Fantasien, Störungen, Empfindungen, kurz: Wahrnehmung(en) von Welt. 
     
    Ich möchte mich einem inzwischen schon klassischen Gegensatz des städtischen Raums widmen - der Natur, genauer: ihren Geräuschen. Simmels These von der Abstumpfung der Sinne im urbanen Dickicht, mag alt sein, überholt ist sie bis heute nicht. Der Mensch begegnet nicht nur dem Objekt „Natur“ als mehr oder weniger prätentiöses Subjekt, er begegnet so vor allem auch den Bildern von Natur.
    Ich möchte auf die Vielfalt aufmerksam machen, die sich aus den Inseln der Natur speist, die uns in der urbanen Landschaft umgeben und tagtäglich begleiten. Bei all dem müssen wir uns klar machen, dass Natur nichts anderes als ein Produkt unserer Wahrnehmung ist. Unsere Wahrnehmung spielt sie uns vor, besser gesagt, die Natur spielt. Sie spielt auf der Klaviatur ihres Wesens, lässt Vögel zwitschern, einen Ast abknicken, die Baumkronen rascheln oder den Wind das Gras streicheln. All dies können wir in uns aufnehmen ohne es je sehen zu müssen. Es sind Schallwellen, die Informationen über Klänge übermitteln, aber nicht mit ihnen identisch sind. Schallwellen stellen vielmehr den Stimulus der Wahrnehmung dar und sind die Folge von Ereignissen, die eintreten, wenn Objekte und Klangkörper interagieren mit einem sie umgebenden Medium: „Klänge sind Ereignisse!“ (Casey O’Callaghan) Sie schaffen die Ereignisse. Das Ereignis der Morgendämmerung wird erst durch den auditiven Raum zu dem Naturphänomen, das es für uns ist. Eben diese Wahrnehmung möchte ich befragen, indem ich auf sie aufmerksam machen will.

    Dem Medium Luft als Tonträger soll unter die Arme gegriffen werden. Zunächst werden die Töne aus der Natur aufgenommen und zurück projiziert. Durch die Rückprojektion am jeweils nächsten Tag sind die Zuhörer eingeladen, sich durch genaues Hinhören, ihrer auditiven Wahrnehmung bewusst zu werden und damit das Sinn konstituierende Potential von Sound zu erfahren. Mit fortlaufender Zeit entsteht durch die Aufnahme der abgespielten Aufnahmen im Zusammenspiel mit den neu hinzukommenden (Natur-)geräuschen jedoch etwas, das nicht an diesen Ort gehört und sich doch in Teilen nach ihm anhört. Die wachsende Entfremdung auf auditiver Ebene soll den Ort wie wir ihn uns konstruieren, hinterfragen. Der Ort soll sich zu etwas nicht verortbarem entwickeln, ohne dass ihm visuell etwas hinzugefügt oder abgezogen wird, sondern allein aus seiner genuin eigenen Akustik heraus, oder anders gesagt: der Ort wird von Innen heraus interveniert. Was wird dies aus dem Ort machen? Werden wir die Veränderung überhaupt wahrnehmen können? Und wie verändert sich das Ereignis des Sonnenaufgangs?

    In der zweiten Woche soll der umgekehrte Weg gegangen werden. Die urbane Landschaft stellt ein mannigfaltiges, undurchdringliches Dickicht an Geräuschen und Klängen dar, an dem eine differenzierte Analyse scheitern muss, also die Identifikation von Klängen und Geräuschen, Segmentierung der Klangmixtur, kognitive Verarbeitung, Bewertung und emotionale Reaktionen auf das Gehörte. Was höre ich, wenn ich für eine Minute die Augen schließe und auf die Innenstadt Bochums höre? Ich höre Stimmen von überall. Sie reden. Ich höre jemanden lachen, ein Kind das leise singt, zwitschernde Vögel, Autos. Ich höre den Wind, vielleicht einen Bagger, ein Kind das schreit. Bei geöffneten Augen, im durch kalkulierten Alltag des Morgens, im Gang oder der Fahrt zur Arbeit, zur Schule, zur Universität, verblassen die mich umgebenden Geräusche bis auf die für meinen Weg notwendigen. Wir sind so sehr mit ihnen sozialisiert, dass die auditiven Eigenschaften der Stadt uns nicht mehr als solche auffallen. Um auf das uns umgebende, tonale Wirrwarr aufmerksam zu werden, bedarf es einer Geräuschkulisse, die sich in unsere Wahrnehmung gräbt, weil sie zu keiner Quelle zugeordnet werden kann. Der „Fremdort“ Natur wird zuerst als fremdes, nicht anpassbares Element in die Stadt hinein getragen. Er provoziert unsere Wahrnehmung von einem Morgen, einem Aufwachen der städtischen Landschaft, der einsetzenden Geschäftigkeit und urbanen Routine. Ich möchte versuchen, die Routine, so wie sie sich in den Klängen und Geräuschen niederschlägt, aufzubrechen. Dies kann nur durch eine Intervention von Außen, einen bewussten Eingriff stattfinden. Erst dann werden die Audiospuren nach und nach weggenommen, bis am Ende ein kleiner, zerbrechlicher Teil der Natur in der Stadt zu hören sein wird. Die Menschen sind eingeladen ihn wahrzunehmen und die ihn umgebende auditive Mannigfaltigkeit. Wird man die Natur hören? Lässt sie sich in den Stadtraum integrieren, oder stirbt sie so wie sie sich dem urbanen Ort am ersten Tag vorgestellt hat - als Fremdkörper?